• News

Der ehemalige französische Bahnhof an der Lottergasse

20.02.2025

Der am 11. Dezember 1845 eröffnete französische Bahnhof auf dem Schällenmätteli war der erste offizielle Bahnhof auf Schweizer Boden.

Vor dem Aufkommen der Eisenbahn konnte man sich, mit der Kutsche, zu Pferd oder zu Fuss, nur langsam fortbewegen. Erstere benötigte beispielsweise drei Stunden zum Schloss Ebenrain in Sissach, wie wir aus alten Quellen erfahren. Um mit dem Pferd nach Bern zu gelangen, war man etwa zweieinhalb Tage unterwegs.

Das Aufkommen der Eisenbahn
Das Aufkommen der Eisenbahn im 19. Jahrhundert ging einher mit der Industrialisierung und war Voraussetzung für deren Entwicklung. Die erste öffentliche Eisenbahn, die neben Gütern auch Personen beförderte, wurde 1825 in England in Betrieb genommen. Binnen weniger Jahrzehnte hatte sich ein neues Verkehrssystem entwickelt, nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika.
Das Reisen mit dem Zug bedeutete für die Menschen damals eine ganz neue Erfahrung und wurde auch mit einigem Misstrauen begegnet. Allein schon die Geschwindigkeit, wir lesen bei den ersten Zügen zwischen 25 km/h und 60 km/h, und die damit verbundene Optik der vorbeihuschenden Gegenstände neben dem Geleise, muss teilweise beängstigend gewirkt haben.
In seinem Beitrag über die Biedermeierzeit in Basel meinte Ernst Jenny (1874–1959) zur Eröffnung des französischen Bahnhofes 1845, dass damit die liebgewordene, idyllische Kleinstädterei verschwunden sei, das liebliche Stadtbild sich geändert habe und fremde Menschen und deren Ideen sich breitgemacht hätten.

1839 hatten die Franzosen die Eisenbahnlinie Strassburg–St-Louis vollendet, 1840 erfolgte deren Eröffnung. Zahlreiche Familien pilgerten des Sonntags nach St-Louis, um die Lokomotiven zu besichtigen. Diese waren meist bunt bemalt und Lokomotivführer wie auch Heizer fanden sich in dem offenen Führerstand Wind und Wetter ausgesetzt
Ein Zug bestand in der Regel aus fünf bis sechs Wagen. Davon waren zwei, mit den billigen Plätzen, offen. In den geschlossenen ErsteKlasse-Wagen konnten es sich die Reisenden auf Polstersitzen bequem machen. Als Zeichen zur Abfahrt ertönten damals ein paar Trompetenstösse.

Verlängerung der Bahnlinie nach Basel
Schliesslich beabsichtigten die Franzosen, die Eisenbahnlinie nach Basel zu verlängern. Das Zentrum des Bahnbetriebes lag damals in Mülhausen, bei den dortigen Industriellen Nicolas und André Koechlin. Der Gedanke, dass der Zug durch die Stadtmauer in die Stadt einfahren und somit auch allfällige Feinde hineingelangen konnten, beängstigte und beschäftigte die Menschen damals in höchstem Masse, und zwar nicht nur in Basel, sondern in der ganzen Eidgenossenschaft. In der Folge entbrannte manch bitterer Streit. Dennoch beschloss der Grosse Rat am 12. Juni 1843, mit nur vier Stimmen Mehrheit, dass die Eisenbahnlinie gebaut werden dürfe. Der Bahnhof sollte beim Schällenmätteli, einer unbebauten Fläche zwischen der alten und neuen Stadtmauer beim St.-Johanns-Tor, errichtet werden. Benannt wurde das Gelände nach dem «Schällenwärgg», bei dem Häftlinge, gekennzeichnet durch eine kleine Glocke, arbeiten mussten.

Der erste Bahnhof auf Schweizer Boden (1845–1860)
Im Herbst 1843 begannen die Bauarbeiten für den französischen Bahnhof. Als am 15. Juni 1844 der erste, planmässige Eisenbahnzug mit der Dampflokomotive «Napoléon» von St-Louis her nach Basel einfuhr, waren diese noch längst nicht beendet. So behalf man sich mit einem provisorischen Stationshäuschen aus Holz bei der Einmündung der Vogesenstrasse in den St.-JohannsRing, also noch ausserhalb der Stadtmauer. Dieses brannte bereits im April 1845 ab und wurde, als weitere provisorische Lösung, durch einen Schuppen ersetzt, den man von Ribeauvillé herbeischaffte.

Einweihung der neuen Bahnhofgebäude
Am 11. Dezember 1845 konnte der «definitive» französische Bahnhof an der verlängerten Lottergasse, seit 1861 Spitalstrasse, eröffnet werden. Der Name «Lottergasse» stammte von den sich hier befindenden Nebengebäuden des ehemaligen Predigerklosters, welche als Gefängnis und «Irrenanstalt» genutzt und worin «lottrige» Leute untergebracht wurden.
Die Bauarbeiten hatten unter der Leitung des französischen Eisenbahningenieurs Camille Polonceau (1813–1859) stattgefunden, später Chefingenieur der Bahnlinie Paris–Orléans und Erbauer des Pariser Gare d’Austerlitz. Architekt war Jean-Baptiste Schacre aus Mulhouse. In seinem Aussehen entsprach der neue Bahnhofbau in Basel demjenigen in Mulhouse von 1841.
Für die damalige Zeit muss er sehr grossstädtisch gewirkt haben. Das Stationsgebäude aus Vogesenstein wies einen erhöhten Mittelrisalit auf mit einer Markise an der Vorderfront. Dahinter schloss die Bahnhofshalle über zwei Geleisen an. Flankiert wurde das Stationsgebäude von zwei Häuschen, das eine für den Signalwärter, das andere für den Portier. Güterschuppen sowie Lokomotiv- und Wagenremisen vervollständigten die Anlage. Das ganze Bahnhofgelände umfasste in etwa das Rechteck zwischen St.-Johann-Ring–Klingelbergstrasse– Schanzenstrasse–Spitalstrasse.

Geschützt durch erweiterte Stadtmauer und Eisenbahntor
Die Kosten für diesen repräsentativen Bau waren von der französischen Eisenbahngesellschaft übernommen worden. Um die neuen Bahnhofgebäude zu schützen, wurden sie mit einem Wall umgeben, respektive der Mauerring beim St.-Johanns-Tor wurde nach aussen verlegt. Die Öffnung in der Mauer, durch welche die Züge einfuhren, wurde durch ein Eisenbahntor gesichert. Diese Kosten, zur Sicherung der Stadt, übernahm Basel. Das Eisenbahntor stammte von keinem Geringeren als Melchior Berri (1801 – 1854) und lag an der Pestalozzistrasse, zwischen der Spitalstrasse und der Klingelbergstrasse, ungefähr an der Stelle des heutigen Anatomischen Museums. Bekrönt wurde das klassizistische Bauwerk aus rotem Sandstein von einer Kriegerfigur, geschaffen vom Bildhauer Albert Landerer (1816–1893), eigentlich bekannt als Basler Historienmaler. In nachfolgenden Reproduktionen erscheint diese jedoch nicht mehr. Im Scheitel des Tores prangte das Basler Wappen. Jede Nacht, nach Einfahren des letzten Zuges, konnte das Tor mit einem eisernen Fallgitter geschlossen werden. Zusätzlich wurde es von den Stänzlern, der Basler Standestruppe, bewacht.

Nur 15 Jahre in Betrieb
Die Schienen der Bahnlinie verliefen auf einem kleinen Damm, in schnurgerader Linie von St-Louis her, entlang der heutigen Vogesenstrasse. Nach der Eröffnungsfeier des Bahnhofes begannen am folgenden Tag die fahrplanmässigen Züge der Linie Strassburg – Basel in den neuen Bahnhof einzufahren. Täglich verkehrten deren fünf. Ab 1850 war die Strecke doppelspurig verlegt. Nur 15 Jahre sollte die repräsentative Anlage ihren Zweck erfüllen. 1860 wurden die Schweizerische Centralbahn und die französische Bahn beim neuen Centralbahnhof vor dem Aeschenbollwerk, am jetzigen Centralbahnplatz, zusammengelegt. Die Gebäude an der Spitalstrasse liess man abreissen, 1880 folgte auch das Eisenbahntor. Anstelle der ehemaligen Bahnhofsgebäude wurde die Strafanstalt errichtet, welche man wiederum 2010 zurückbaute. Heute nutzt die Universität Basel das Gelände des einstigen französischen Bahnhofes.